Britta Karres: Jedes Kind in seiner Eigenart schätzen
Seitdem ich mein Buch „Komm raus- ich seh dich“ veröffentlich habe, habe ich oft darüber nachgedacht, ob es wohl als „Schubladenbuch“ daherkommt …? Das wäre nämlich so ziemlich das Letzte, was ich bezweckt hätte - im Gegenteil: ich bin ein ausgesprochener Gegner von Etiketten, auch wenn es mir nach wie vor wichtig erscheint, auf die Wesensart Hochsensibilität hinzuweisen. Aber eben nicht als etwas, das besonders schützenswert wäre, sondern vielmehr als eine weitere Spielart der unendlichen Möglichkeiten zu präsentieren, einem Kind gerecht zu werden und empathisch wahrzunehmen.
Ich glaube, ich würde meinen Ansatz daher eher universell nennen: Je besser Eltern verstehen, wo ihre Kinder gerade stehen und was sie gerade umtreibt, umso geborgener, aufgehobener und verstandener fühlen sie sich. Eigentlich geht´s uns ja genauso. Und daraus erwächst dann (für alle) Vertrauen, Mut und Wachstum. Weil Emotionen im Spiel sind, ist diese feine Verbindung zwischen Eltern und Kind bei Hochsensiblen besonders störanfällig, und wiederum besonders leicht zu kitten und schließlich in einen Selbstläufer emotionaler Entwicklung zu verwandeln. Diese Prozesse anstupsen zu dürfen, sind das allerschönste an meinem Beruf.
Was ich im Laufe meiner Beraterjahre gelernt habe: das Verhalten des Kindes ist ausnahmslos auf viele Faktoren zurückzuführen, und niemals ist ein Kind per se schwierig, so verständlich es in unserer heutigen schnelllebigen Zeit ist, rasch Abhilfe zu schaffen.
Die Suche nach dem Warum hingegen lohnt sich enorm und hält nachhaltige, alle glücklich machende Lösungen bereit. Kindliches Verhalten kann entwicklungspsychologisch bedingt und daher „normal“ und folgerichtig sein. Dann brauchen Eltern „nur“ Information, wann, was in der Psyche dran ist. Es kann aber auch eine Reaktion auf Vorbilder, Umgebung, auf Erwartungen der Eltern und den Umgang mit ihm sein. Dann wird es etwas kniffeliger, denn dann sind Reflexionsvermögen und der Willen der Erwachsenen vonnöten, sich selbst zu hinterfragen. Oder aber: es ist doch der Charakter! Bevor ich persönlich aber dazu komme und auch den Umgang mit Hochsensibilität bespreche, legen wir all die anderen Handlungsspielräume frei, die sich aus den beiden ersten Optionen ergeben.
Auch mit meinen Klienten versuche ich, das empathische Prinzip zu beherzigen: zu verstehen und zu spüren, wo sie stehen und was sie brauchen und darauf mit den Mitteln eines integrativen Beratungsstils zu reagieren: mal mehr verhaltenstherapeutisch, mal eher in die Tiefe gehend analytisch, dann familiensystemisch oder kreativ lösungsorientiert.
Manchmal können wir dann „hochsensible Vorzüge“ gleich nutzen, um das Ursprungsthema (= „das Problem des Kindes“) zu bearbeiten. Das ergibt a-ha-Erlebnisse und manches Mal schließen sich so die Kreise: die Eltern lernen sich und ihre Stärken besser einzusetzen und kommen sich selbst wieder näher… Hochsensibilität ist schließlich vererblich. Auch das ist etwas, was ich im Laufe der Jahre beobachten durfte: die authentische Stärke der Eltern ist der wichtigste Nährboden für die Stärke der Kinder, aus der heraus sie groß und stark werden.
Herzliche Grüße!
Britta Karres
Buch: Komm raus, ich seh dich!
Von Glück, Selbstwirksamkeit und Wachstum
hochsensibler und hochbegabter Kinder
286 Seiten; Festland Verlag